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Hirtengerechtigkeit

Sozialpolitik
Gastbeitrag von Lars Vollmer

Was machen Parteien im Umfragetief? Nun, alle kennen da so ihre Tricks – und immer wiederkehrende Profilierungsparolen: Grundrente, höherer Mindestlohn, Mütterrente, Weg-mit-Hartz-IV, Grundeinkommen … Und siehe da, wer am lautesten brüllt, erhält in der kommenden Woche ein oder zwei Prozentpünkchen mehr. Herrlich, nicht wahr?

Ja, die Schafe belohnen ihre treusorgenden Hirten. Ein bisschen zumindest, denn kaum eines der Schafe ist mehr mit deren Sozialpolitik zufrieden. Das sehen wir – mehr oder weniger gerne – besonders bei der Rente.

Oh, die werden ja immer mehr!

Obwohl wir im Rentensystem Geld ohne Ende aufwenden, wird von allen Seiten wachsende Ungerechtigkeit beklagt. Die einen sind unzufrieden, weil sie immer noch mehr Leistungen haben wollen – das hätten sie schließlich verdient. Die anderen sind unzufrieden, weil sie immer noch mehr bezahlen sollen – wo sie doch nichts davon haben werden im Alter. Derweil wachsen die Kosten und wachsen und wachsen.

Wenn Sie heute Nacht schlecht schlafen wollen, dann werfen Sie mal einen Blick auf die Fakten: Durch die demografische Entwicklung kann der Sozialhaushalt gar nicht anders als sich auch in den kommenden Jahrzehnten immer weiter aufzublähen. Mittlerweile muss die Rentenkasse jedes Jahr mit rund 100 Milliarden Euro aus Steuermitteln bezuschusst werden, weil die Rentenbeiträge schon lange nicht mehr ausreichen, um die Renten auszuzahlen. Und die Rentner werden immer mehr: Sowohl weil sie immer länger leben, als auch weil demnächst die ersten geburtenstarken Jahrgänge in die Rente plumpsen.

Eingetauscht

Rechnen Sie ruhig mal selbst nach: Die Kassenlage lässt sich ja in diesem Fall ausnahmsweise ganz gut prognostizieren.

Der gesunde Hausverstand sagt, dass wir das Rentenalter schrittweise noch weiter anheben und die Renten reduzieren müssen. Aber wer hört schon auf den?

Schließlich haben wir den gesunden Hausverstand ja eingetauscht. Wir Schafe haben unser Wohl und Wehe den Hirten anvertraut, auf dass sie alles zu unserer absoluten Sicherheit regeln. Auch im Sinne unserer Absicherung im Alter.

Entsprechend walten die Hirten brav ihres Amtes und stellen die Sicherheit von heute über alles. Auch über den gesunden Hausverstand. Und so richtet sich unsere Sozialpolitik eben auch nach ganz anderen Kriterien als nach denen der Vernunft.

Rollator oder Ferrari?

Die Hirten brauchen Wählerstimmen. Auch die der Rentner, um ihre eigenen Posten und das Hirtensystem als Ganzes zu erhalten. Wer wollte ihnen das schon vorwerfen? Also senken die Hirten gegen jeden Verstand das Renteneintrittsalter und zahlen immer mehr aus. In der Konsequenz steigen Steuern und Rentenabgaben. Und alle schimpfen. Alle finden den Status quo ungerecht. Alle wollen die gefühlte Ungerechtigkeit des jeweiligen Gegners aber am liebsten noch vergrößern.

»Ihr Hirten, ihr müsst das für mich regeln! Ihr müsst dafür sorgen, dass ich im Alter versorgt bin! Ich habe Angst, in Armut zu fallen, ihr müsst mich auffangen!«, sagen die einen. »Ihr Hirten schröpft mich und nehmt mir immer mehr von meinem Geld weg, das ich mit ehrlicher Arbeit verdient habe. Und dabei weiß ich, dass ich selbst, wenn ich mal alt bin, keinen Cent Rente von euch bekommen werde, weil sich das ganze System nicht rechnet und früher oder später zusammenbricht!«, lamentieren die anderen.

Die ständigen Diskussionen über die Altersarmut werden dabei sehr emotional geführt. Die Moral springt an, Sachfragen werden sofort zu Gerechtigkeitsdebatten, die das Publikum spalten. Passend dazu sind die Beispiele, die diskutiert werden, an Polemik kaum noch zu überbieten: Da ist auf der einen Seite die gefühlte Unwürdigkeit, nach 35 Berufsjahren in relativer Armut den klapprigen Rollator einen holprigen Gehweg entlangschieben zu müssen. Auf der anderen Seite der 22-jährige Banker aus Frankfurt, der mit dem Ferrari auf der frisch geteerten Autobahn durch blühende Landschaften rauscht. Und schnell gesellen sich noch weitere Themen und Bilder dazu …

Zwei Frauen, 13 Kinder

Hinzu kommt das ewige Hadern mit Hartz IV und die vermeintliche Lösung mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Und schließlich tritt dann auch noch das Zerrbild des Syrers aus Pinneberg dazu, der mit zwei Frauen und 13 Kindern ein Haus sowie Tausende Euro jeden Monat auf Steuerzahlerkosten spendiert bekommt, obwohl er kein Einkommen hat, ja, noch nie in Deutschland einen Cent in die Kassen eingezahlt hat.

Und schon tun sich immer mehr Risse auf: zwischen Jung und Alt, zwischen Arbeitenden und Alimentierten, zwischen Deutschen und Ausländern, zwischen Arm und Reich – überall werden die Konflikte härter, unversöhnlicher, erbitterter ausgetragen, immer verbunden mit einem großen Schwall der Emotionen, der das Zentralnervensystem überflutet.

Und die Hirten?

Keine Idee!

Sie treten an, um die großen Missstände zugunsten der eigenen Klientel und auf Kosten der politischen Gegner zu reduzieren. Sie haben keine auch nur im Ansatz tragfähige Idee, wie die soziale Rundum-Sicherung mit den finanziellen Möglichkeiten der jetzigen und der künftigen Generation zu vereinbaren wäre. Und trotzdem wollen die Hirten beides: Sie nennen es „Gerechtigkeit.“ Also bahnen sie alles gleichzeitig an. Aber es geht nicht.

Echte Lösungen führen die Hirten nicht im Angebot, denn die wären ja so oder so unpopulär. Die vielen schönen Stimmen wären weg. Sollen doch die Schafe blöken. Die wissen es doch auch nicht besser.

Das stimmt ja sogar, denn solange das Hirtensystem die Regeln vorgibt, wird es keine Lösung geben. Traurig, aber wahr. Aber wer wäre eigentlich traurig, wenn wir Schafe uns mit den Hirten zusammensetzen und nach einer Lösung suchen würden, bei der jeder seiner eigenen Verantwortung gerecht wird?

Ich plädiere für Kratzer

Ich gebe zu: Wir haben uns ein System gebaut, das nach außen hin auf Hochglanz poliert ist. Es wird wohl nicht ohne ein paar Kratzer ablaufen, wenn wir daran etwas ändern. Und Kratzer im Lack sind eine traurige Sache.

Ich bin aber überzeugt, dass wir – wenn wir nicht heute damit anfangen, etwas zu ändern – morgen nicht nur über ein paar Kratzer jammern werden. Bei dem frontalen Crash, auf den wir mit diesem System nicht nur mit den Sozialkassen zurauschen, befürchte ich einen Totalschaden.

Und Sie?

Der Autor

Lars VollmerLars Vollmer, Jahrgang 1971, promovierter Ingenieur und Honorarprofessor der Leibniz Universität Hannover, ist Unternehmer, Bestsellerautor und Begründer von intrinsify, dem größten offenen Thinktank für die neue Arbeitswelt im deutschsprachigen Raum.

Vollmer spielt Jazzpiano, trinkt gerne Weltklasse-Kaffee und lebt in Barcelona.

Bücher von Lars Vollmer

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Gebundene Ausgabe: 248 Seiten
Verlag: intrinsifyVerlag; Auflage: 1 (24. Januar 2019)
ISBN: 978-3947886012
Preis: Gebundene Ausgabe 24,00 EUR / Kindle Edition 18,99 EUR

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