
Was macht eine gute Führungskraft aus? Diese Frage wird oft gestellt und selten einheitlich beantwortet. Doch wer sich durch die vielen Perspektiven arbeitet, stößt auf drei Qualitäten, die immer wieder genannt werden: Kompetenz, Empathie und Belastbarkeit.
In der Praxis jedoch beobachten wir eine frappierende Diskrepanz: Menschen mit den falschen Eigenschaften gelangen in Führungspositionen, während diejenigen mit echtem Potenzial übersehen werden. Besonders auffällig: Frauen werden trotz geeigneter Qualifikationen deutlich seltener in Führungsrollen berufen[1]. Doch woran liegt das und was sagt das über unser Verständnis von Führung aus?
Inhalt
Macht verändert Menschen – und nicht zum Besseren
Empathie, Teamgeist, die Fähigkeit, Vertrauen zu schaffen: Das sind keine “Nice-to-have”- Soft Skills, sondern essenzielle Führungsqualitäten. Studien wie das Aristoteles-Projekt von Google belegen eindeutig: Hochleistungs-Teams brauchen psychologische Sicherheit und damit eine Führung, die zuhört, reflektiert und sich selbst nicht zu wichtig nimmt.
Ironischerweise zeigen Forschungsergebnisse, dass Menschen mit wachsender Macht häufiger zu impulsivem und egozentrischem Verhalten neigen bei gleichzeitiger Abnahme von Empathie und Perspektivwechsel[2]. Manche Forscher bezeichnen dies metaphorisch als eine Art “Machtvergiftung” – also einen sozialpsychologischen Effekt von Macht auf das Verhalten.
Das Problem dabei: Unsere Führungskultur belohnt genau diesen Effekt, statt ihn zu hinterfragen und gegenzusteuern.
Zum einen wird dominantes Verhalten (interessanterweise nur bei Männern) häufig mit Kompetenz bzw. Potential verwechselt[3], was zu einem schnelleren Aufstieg der Karriereleiter und den Wechsel in verantwortungsvollere Positionen führt.
Zum anderen werden auch heute noch in vielen – auch vermeintlich modernen- Organisationen Führungsstile gefördert, die auf Durchsetzungskraft, Kontrolle und Zielerreichung setzen, während empathische oder teamorientierte Kompetenzen unterbewertet bleiben.
Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie einmal auf Ihre Performance KPIs und Unternehmensziele: stehen kurzfristige Erfolge und messbare Outputs im Fokus, oder werden tatsächlich auch empathische Führungsqualitäten, Teamzusammenhalt und langfristige Leistungsverbesserungen messbar und sichtbar gemacht?
Interessant ist in diesem Zusammenhang: Frauen gehen achtsamer mit Macht um. Anders als Männer, die häufig einen transaktionalen Führungsstil mit klaren Zielen, Belohnungs- bzw. Sanktions-Mustern und Kontrolle präferieren, bevorzugen Frauen tendenziell einen transformationalen Führungsstil[4]. Dementsprechend legen sie mehr Wert auf Sinn, Beteiligung, Inspiration, Entwicklung von Mitarbeitenden und gemeinschaftliche Zielerreichung. Sie nutzen ihre Macht als Werkzeug für Sinn und Gestaltung – nicht als Bühne für das eigene Ego. Und genau das ist die Führung, die wir heute brauchen.
Resilienz ist nicht (nur) eine Geschlechtsfrage
Ein oft zitiertes Argument gegen weibliche Führung lautet: Frauen seien weniger belastbar – belegt durch höhere Ausfallraten aufgrund psychischer Erkrankungen. Doch diese Zahlen sind eher ein Hinweis auf strukturelle Mehrfachbelastung, höhere Reflexionsfähigkeit und ausgeprägte Selbstfürsorge[5]. Frauen erkennen Überlastung früher, übernehmen viel Verantwortung in verschiedenen Lebensbereichen und setzen sich aktiv mit Grenzen auseinander – Eigenschaften, die in moderner Führung zunehmend entscheidend sind.
Resilienz lässt sich nicht in Krankheitstagen messen, sondern zeigt sich in der Fähigkeit, langfristig gesund, klar und wirksam zu führen. Und auch hier zeigt sich: Frauen haben kein Defizit, sondern eine gesunde Sensibilität.
Warum Selbstüberschätzung oft befördert wird und Kompetenz übersehen bleibt
Wie kann es sein, dass Führungspositionen regelmäßig mit Menschen besetzt werden, die entweder überfordert oder fachlich ungeeignet sind? Die Antwort liegt in einer fatalen Kombination aus falschen Rollenbildern, psychologischen Verzerrungen und mangelnder Differenzierung. Unsere Wahrnehmung von Führung ist tief geprägt von überkommenen Vorstellungen: Dominanz, Schlagfertigkeit und Selbstbewusstsein. Eigenschaften, die oft als Stärke fehlinterpretiert werden.
Besonders problematisch ist der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt. Menschen mit geringen Fähigkeiten neigen dazu, sich selbst maßlos zu überschätzen. Studien[6] zeigen, dass gerade Männer hiervon überdurchschnittlich oft betroffen sind. Diese Selbstüberschätzung wird im Bewerbungsprozess nicht hinterfragt, sondern sogar belohnt. Denn wer laut ist, gilt als kompetent. Wer leise überzeugt, wird übersehen.
Unsere Auswahlprozesse bevorzugen Menschen, die sich in Szene setzen können, statt solche, die über Fachwissen, Reflexion und soziale Intelligenz verfügen. Frauen passen seltener in dieses Bild – nicht, weil sie weniger geeignet wären, sondern weil sie andere Stärken mitbringen, die weniger sichtbar und weniger belohnt sind.
Was dabei verloren geht, ist das, was Organisationen heute am dringendsten brauchen: echte Führungspersönlichkeiten mit Substanz. Ein gefährlicher Trugschluss, der echte Fachkompetenz systematisch ausbremst und Frauen, die oft zurückhaltender auftreten, benachteiligt.
Fazit: Für bessere Führung brauchen wir mehr weibliche Perspektiven
Wir brauchen keine Frauenquote, um Zahlen zu erfüllen. Wir brauchen mehr Frauen in Führung, weil die Qualität von Führung sonst auf der Strecke bleibt.
Kompetenz, Empathie und Resilienz – das sind die Bausteine moderner Führung. Frauen bringen sie oft in hohem Maße mit. Was ihnen fehlt, ist nicht das Können, sondern die Sichtbarkeit.
Es wird Zeit, unsere Kriterien zu hinterfragen sowie diejenigen nach vorn zu holen, die leise führen, aber klar denken. Denn genau das ist die Führung, die Zukunft hat.
Die Autorin
Kathrin Krügel ist Gründerin von Refra|me Coaching & Consulting und begleitet Führungskräfte sowie Unternehmen dabei, in Zeiten von Veränderung, Komplexität und Druck innere Klarheit, emotionale Stärke und Wirksamkeit zu entwickeln.
Ihr Fokus liegt auf Selbstführung, Resilienz und emotionaler Intelligenz – als Schlüssel für gesunde, zukunftsorientierte Führung und nachhaltige Transformation.
Mit Refra|me unterstützt sie Menschen und Organisationen dabei, ihr Potenzial neu zu entfalten und Wandel aktiv mitzugestalten.
Quellen:
[1] McKinsey & Company („Women in the Workplace“, jährlich); div. Veröffentlichungen der AllBright-Stiftung; Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung: Wochenbericht Nr. 3/2025
[2] Keltner, D., Gruenfeld, D.H., & Anderson, C. (2003) – „Power increases the disinhibition of social behavior“; Hogeveen et al. (2014) – Power reduces empathy.
[3] Jack Zenger & Joseph Folkman (2019): Männer werden häufiger auf der Grundlage ihres Potenzials befördert – Frauen eher nach nachgewiesener Leistung. Potenzial wird oft mit dominanterem Auftreten verwechselt.
[4] Eagly, A. H., & Carli, L. L. (2003): The female leadership advantage: An evaluation of the evidence; Zenger & Folkman (2012) Harvard Business Review Studie
[5] „Job Burnout“ von Maslach, Schaufeli und Leiter im Annual Review of Psychology (2001)
[6] Studie von Adamecz, A., Ilieva, R., & Shure, N. (2025). Revisiting the Dunning-Kruger Effect: Composite Measures and Heterogeneity by Gender; Joyce Ehrlinger und David Dunning 2003 „How chronic self-views influence (and potentially mislead) estimates of performance“

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