Personal & Weiterbildung
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Verbrannt fürs Teamwork? Wie Selbstständigen der Sprung ins Angestelltendasein gelingt

Angestelltendasein
Gastbeitrag von Till Kammerer

Gerade, als Svenja S. mit viel Mühe alles nötige Wissen rund um die „Umsatzsteuer-Voranmeldung“ recherchiert und verstanden hatte, erfuhr sie von einem befreundeten Steuerberater, dass sie sich auch noch eine „Umsatzsteuer-Identifikationsnummer“ zulegen muss: „Schließlich nimmst du mit deinem Produkt am innergemeinschaftlichen Handel mit einem EU-Land teil!“ Svenja stöhnte – SO hatte sie sich die große weite (und natürlich viel freiere) Welt als Existenzgründerin nicht vorgestellt: „Ich fühle mich wie eine Ein-Frau-Buchhaltungsabteilung.“

Wie Svenja geht es manchen Existenzgründern oder schon länger Selbstständigen: Viele stellen irgendwann aus ganz verschiedenen Gründen fest, dass sich ihre Selbstständigkeit nicht „gut anfühlt“. Wenn dieses zunächst oft diffuse Gefühl chronisch wird und die Lebensqualität mindert, scheint der Schritt ins – vielleicht aus früherem Angestellten-Dasein bekannte – Arbeitnehmer-Büro attraktiv.

Wie bei jeder grundlegenden beruflichen Richtungsentscheidung sollte er jedoch wohl überlegt sein. „Bin ich wirklich ein Angestellten-Typ?“ – mit dieser Frage sollte sich jeder an seinem beruflichen Dasein zweifelnde Selbstständige als erstes auseinandersetzen.

Schritt 1: Drum prüfe sich, wer (zurück) ins Angestelltendasein möchte …

„Sinn“ und damit berufliche Zufriedenheit sind, in weiten Teilen, immer subjektiv, also individuell definiert. Als Berufsberater beziehe ich daher die Identifizierung beruflich relevanter Wertvorstellungen von Beginn an in den Beratungsprozess ein („konstruktivistische Perspektive“ nennt sich das, etwas komplizierter formuliert).

Im Hinblick auf die hier dargestellte Ausgangsfrage („Bin ich wirklich ein Angestellten-Typ?“) frage ich daher:

  • Was ist Ihnen beruflich wichtig? Wie definiert sich „berufliche Zufriedenheit“ für Sie?
  • Wann ist eine berufliche Tätigkeit sinnstiftend für Sie?
  • Welche Werte soll Ihr Berufsleben verwirklichen (bspw. Unabhängigkeit, materielle Sicherheit, Kontakt/Kommunikation, Beitrag für Frieden, Ökologie, …)?

Die damit angestoßene Reflexion in eigener Sache weite ich mit einem Blick in die Zukunft aus, etwa durch skalierte Fragen, aber auch durch andere, bewährte Fragetechniken des Veränderungs-Coachings – etwa:

  • Auf einer Skala von eins bis zehn: Inwieweit erfüllt Ihre Selbstständigkeit Ihre persönliche Definition von beruflicher Zufriedenheit? Inwieweit deckt Sie Ihre persönlichen Werte ab?
  • Hypothetische, skalierte Zukunfts-Frage: Wiederum auf einer Skala von eins bis zehn: Wie wahrscheinlich ist es, dass Ihre Selbstständigkeit Ihre persönliche Definition von beruflicher Zufriedenheit in den kommenden zwei (drei) Jahren erfüllen wird? Warum ist das so?
  • Abwandlungen der Wunderfrage von Steve de Shazer1 – bspw.: Stellen Sie sich vor, ich wäre ein Hellseher mit einer Kristallkugel – was ich selbstverständlich nicht bin. Wenn ich aber einer wäre, was würden Sie hoffen, dass ich in meiner Kugel über Ihre berufliche Zukunft sähe? Wenn Sie zufrieden mit dem wären, was Sie dort sähen, warum wären Sie es? Wer wäre in diesem beruflichen Szenario bei Ihnen? Wo wären Sie? Was würden Sie genau tun?
1 Shazer, Steve de / Yvonne Dolan (3. Aufl. 2013): Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute.* Heidelberg: Carl-Auer Verlag, S. 70 ff.

Weitere methodische Ansätze: Pro-Contra-Gegenüberstellungen, Typentests Unternehmerpersönlichkeit

Auch in beruflichen Entscheidungssituationen helfen Pro-Contra-Tabellen, diffus-abstraktes „Unwohlsein“ mit einer Situation in konkrete, individuell stimmige und begründbare Entscheidungen umzuwandeln. Wie jede Verschriftlichung visualisieren sie zudem das Für und Wider – in unserem Falle einer beruflichen Selbstständigkeit.

Da einige abzuwägende Themen rund um die Selbstständigkeit zentral sind und in der Berufsberatung erfahrungsgemäß immer wieder eine Rolle bei der Frage „angestellt oder selbstständig?“ spielen, sollte man sie sich für die persönliche Pro-Contra-Tabelle gezielt vornehmen, also eine Haltung dazu entwickeln.

Dazu zählen beispielsweise folgende Komplexe:

  • Als Angestellter eigene Fähigkeiten, Interessen und Stärken besser nutzen/leben – stärker inhaltlich arbeiten statt sich mit Verwaltung (Steuern, Versicherungen und Co.) zu beschäftigen:
    Während der Selbstständigkeit kann man fachliche Kenntnisse sammeln – in der betrieblichen Teamarbeit lassen sich diese jedoch besser in erfolgreiche Projekte umwandeln. Schließlich erlaubt das Angestelltenverhältnis ein stärker fokussiertes Arbeiten, weil die „Nebengeräusche“ der Selbstständigkeit (Selbstmarketing, Buchhaltung, Kundenakquise, Steuerfragen, Rechtliches etc.) entfallen.
  • Ein weiteres Beispiel betrifft vor allem die vielen Solo-Selbstständigen und den „sozialen Ort Arbeitsplatz“: Manche arbeiten gern (und besser) allein, andere vermissen nach einiger Zeit die Zusammenarbeit mit Kollegen. Wer hauptsächlich selbstständig/allein arbeitet, hat weniger Austausch über Berufliches und auch keinen Smalltalk mit Kollegen.

Wer – vor oder nach – seiner Gründung zweifelt, ob diese eine richtige Entscheidung war, sollte ergänzend auch einen seriösen Test zur Unternehmer-Persönlichkeit machen. Diese Tests geben einen weiteren Hinweis-Mosaikbaustein, ob man fachlich, aber auch persönlich für die Existenzgründung geeignet ist. Solche Tests stellt bspw. das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie kostenlos online zur Verfügung: https://www.existenzgruender.de/DE/Gruendung-vorbereiten/Entscheidung/Ihre-Qualifikation/Gruendertests/inhalt.html

Schritt 2: Zurück ins Angestellten-Büro – aber welcher Zielberuf entspricht meiner selbstständigen Tätigkeit?

Sie haben für sich herausgefunden, dass es doch wieder (oder erstmals) das Angestellten-Dasein sein soll? Dann müssen Sie die Aufgaben und Tätigkeiten, die Sie als Selbstständiger durchgeführt haben, in einen Angestellten-Zielberuf „übersetzen“, denn: Wer nicht weiß, wie der eigene Beruf in der Angestellten-Welt „heißt“, der kann schwerlich Stellenanzeigen durchforsten oder Bewerbungen schreiben.

Sicher, in einigen Fällen wird es hier spiegelbildliche Entsprechungen geben. Wer etwa lange Jahre im Garten- und Landschaftsbau selbstständig war, der weiß, nach welchen potenziellen Arbeitgebern er Ausschau halten kann. In anderen Fällen ist diese „Übersetzung“ von selbstständiger Tätigkeit in einen angestellten Zielberuf schwieriger. Hier kann ein Berufsberater helfen – nachfolgend zwei Beispiele aus meiner Beratungspraxis:

Beispiel 1:

Wer Produkte eines bestimmten Warensegments selbst herstellt oder einkauft und dann weiterverkauft, verfügt oft über marktfähige, also auch von Arbeitgebern gefragte Produktkenntnisse. Dies gilt umso mehr, je erklärungsbedürftiger diese Produkte sind.

Eine Zusatzqualifikation wie der „Kassenpass“2 kann einer Selbstständigen, die ein entsprechendes Gewerbe angemeldet hatte, dank ihrer produktspezifischen Vorkenntnisse, den Weg in ein Angestelltenverhältnis als Verkäuferin im gleichen Warensegment (Lebensmittel, Textilien, Kunsthandwerk, usw.) ebnen.

Dies gelang etwa einer Beratungskundin von mir, die langjährig Accessoires wie Gürtel, Taschen und Portemonnaies aus Leder genäht hatte und später als Verkäuferin eines auf Lederwaren spezialisierten Textilgeschäfts angestellt wurde.

2 Der „Kassenpass“ oder „Kassenführerschein“ ist eine Fortbildung für Menschen, die im Handel beruflich Fuß fassen wollen. Bundesweit bieten ihn Bildungsträger an. Man lernt hier bspw. den Umgang mit Scanner- und Registrierkassen.

Beispiel 2:

Wer langjährig, zuletzt aber schon länger nicht mehr existenzsichernd als selbstständige Hochzeitsplanerin tätig war, kann sich bspw. in Richtung einer Anstellung bei einer auf den „Honeymoon“ in verschiedenen Gebieten der Welt spezialisierten Reiseagentur bewerben. So gibt es etwa zahlreiche, auf Hochzeitsreisen nach bzw. Flitterwochen in asiatischen Ländern spezialisierte Agenturen.

Schritt 3: Zurück ins Büro, Zielberuf formuliert – wie mache ich meine Stärken als Selbstständiger in der Bewerbung sichtbar?

Berufserfahrung „übersetzen“ – warum bin ich der/die Richtige für die Stelle?

Gerade langjährig Selbstständige verfügen oft über wenig aktuelle Zeugnisse und Zertifikate, die ihre Kompetenzen dokumentieren.

Schon bei der vorausgehend dargestellten „Übersetzung“ der bisherigen selbstständigen Tätigkeiten und Aufgaben in einen angestellten Büro-Zielberuf (Schritt 2) hatten wir uns mit den fachlichen Fähigkeiten bzw. Hard Skills der angehenden Ex-Selbstständigen beschäftigt und diese sichtbar gemacht. Andernfalls wäre diese „Übersetzung“ ja gar nicht möglich.

Ein modernes, von mir in der Berufsberatung gern genutztes Instrument hierfür ist der ProfilPASS: Dieses Tool zur Kompetenzexploration macht neben Kompetenzen, die man an formellen Lernorten wie Schule, Betrieb oder Fortbildungseinrichtung erworben hat, auch solche sichtbar, die an informellen Lernorten bewiesen wurden.

Einige Beispiele: Wenn ich in meiner Freizeit Babysitter bin, eine Gartenhütte aus Holz zimmere oder an meinem Moped schraube, so sind all dies Tätigkeiten, aus denen sich auch beruflich verwertbare Hard Skills und Kompetenzen ableiten lassen.

Ein Beispiel für die Ableitung von passender Berufserfahrung aus langjähriger beruflicher Selbstständigkeit bzw. der „Übersetzung“ dort erworbener Kompetenzen in die Anforderungen eines Angestellten-Stellenprofils:

Ein Beratungskunde hatte nach seinem Abitur eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann durchlaufen. Nachdem er sechs Jahre auf selbstständiger Basis als Handelsvertreter und danach als Kundendienstberater tätig war, machte er sich als Fitnesstrainer und Gesundheitsberater selbstständig. Da diese Tätigkeit zuletzt nicht mehr existenzsichernd war, kam er in die Beratung, um seinen „System-Wechsel“ ins Angestelltendasein zu entwickeln.

Als neues berufliches Ziel entwickelten wir die zu seiner Vita passende Bewerbung als Trainee zur Filialleitung von Fitnesscentern. Solche Sportstudio-Leitungen werden am lokalen Berliner Arbeitsmarkt oft ausgeschrieben.

Im Einzelcoaching gingen wir entsprechende Stellenanzeigen durch. Die meisten der besagten Stellen setzen als Einstiegsvoraussetzung eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung und Erfahrungen in der (sowie natürlich Leidenschaft für die) Fitnessbranche voraus. Dabei übersetzten wir gemeinsam seine während der Selbstständigkeit bewiesenen Kompetenzen in die Anforderungen, die die Arbeitgeber in den Annoncen listeten: Ein Großteil der Stellen wies beispielsweise die Anforderung „Verantwortung für die Mitgliedergewinnung und -bindung“ aus, manchmal mit Zusätzen wie „… durch Organisation von Aktionen und Events“.

Hier konnte der Ratsuchende mit seiner Kommunikations- und Kontaktfähigkeit punkten: Als Handelsvertreter wie auch Kundendienstberater hatte er bewiesen, dass er ohne Probleme auf fremde Menschen zugehen und sie auch überzeugen konnte. Auch das „Führen und Motivieren von Teams“, ebenfalls oft gefragt bei den Traineestellen, fällt jemandem mit diesen Stärken leichter. Denn „Führung“ ist, zu einem Großteil, „Kommunikation“.

Selbstständigen-Soft Skills betonen – Vorurteile ausräumen

Gerade (teils langjährig) Selbstständige verfügen über ganz spezielle beruflich relevante Soft Skills. Diese sind ihnen jedoch häufig nicht bewusst – u. a. deshalb, weil sie sie ja selten in Bewerbungsanschreiben oder Vorstellungsgesprächen formulieren mussten. Viele Selbstständige glauben sogar, dass ihre Arbeitnehmer-Persönlichkeit für Arbeitgeber unattraktiv ist – vor allem deshalb, weil sie lange nicht in Teams eingebunden waren.

Hier gehe ich zweistufig vor: Zunächst erarbeite ich mit den Beratungskunden, welche gerade für sie typischen Schlüsselqualifikationen sie (sehr wohl) mitbringen. Dann prüfe ich, ob sie diese im Einzelfall wirklich haben (= Disputation).

Beispiel 1: (Vermeintlich) mangelnde Teamfähigkeit

Personaler sind oft skeptisch: Sind gerade langjährige Solo-Selbstständige überhaupt teamfähig?

Gegen-Argumentation, mit dem Ratsuchenden entwickelt und bei Bedarf im simulierten Vorstellungsgespräch geübt: Gerade Selbstständige brauchen ein hohes Maß an sozialer Kompetenz sowie Anpassungs- und Kompromissfähigkeit. Sie arbeiten schließlich nicht im Vakuum. Wer nicht mit Menschen umgehen kann, verprellt seine Kunden und verdient kein Geld.

Im Rahmen der Integrationsstrategie legen ich den Kunden bei dieser Schlüsselkompetenz zudem nahe, in der Bewerbung zu betonen, dass ihre Auftraggeber stets mit ihnen zufrieden waren oder dass sie sogar Stammkunden gewinnen konnten.

Sie können außerdem im Lebenslauf festhalten, dass sie sich sozial engagieren oder im Sportverein aktiv sind – auch dies spricht für Teamfähigkeit.

Beispiel 2: (Vermeintliche) Probleme mit dem Befolgen von Anweisungen/der Unterordnung

Der Kunde ist bekanntlich König – das gilt gerade auch für Selbstständige, die sich den Wünschen ihrer Auftraggeber unterordnen müssen. Auch hier sind zufriedene Kunden und entsprechende Referenzen (Testimonials) belastbare Hinweise darauf, dass ein Selbstständiger nicht nur seine Problemlösung durchgeboxt hat, sondern aktiv zugehört hat und auf Kundenwünsche eingegangen ist.

Der letzte Schritt der Disputation stellte eine Verifizierung bzw. Prüfung der zuvor geäußerten Soft Skills dar: Mittels bestimmter Fragen lässt sich eruieren, wie ausgeprägt diese sind. Beispiel-Fragen sind: Was verstehen Sie genau unter dieser Kompetenz, wann und wo haben Sie diese in welchem beruflichen Zusammenhang eingesetzt?

Ergänzend lässt sich hier das persönliche Umfeld des Coachees einbeziehen: Der Beratungskunde stellt Freunden und Verwandten nun selbst bestimmte Fragen, wie diese ihn oder sie einschätzen – etwa: „Was kann ich aus deiner Sicht besonders gut?“ Oder: „Bei welcher Frage oder zu welchem Thema würdest du mich um Rat bitten?“

Diese „systemische Brille“ ebnet den Weg von der Selbst- zur Fremdeinschätzung und gibt dem neu entwickelten Arbeitnehmer-Stärkenprofil den letzten Schliff.

Der Autor

Till KammererTill Kammerer arbeitet als Berufsberater mit den Schwerpunkten berufliche Erstorientierung und Neuorientierung für Berufserfahrene in Berlin (Präsenz-Beratung vor Ort oder per Bildtelefonat bundesweit). Zuvor war er zwanzig Jahre als Redakteur für Beruf und Bildung, Jobcoach/beruflicher Berater und Arbeitsvermittler tätig.

Der Berufsberater im Internet: Checkpoint Berufsweg – https://checkpoint-berufsweg.de.

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