Gastbeitrag von Markus Baumanns
„Wir ersticken in Arbeit.“ „Unsere Organisation läuft heiß.“
Endlose Abstimmungsschleifen und Meetingmarathons prägen den Alltag in etablierten Unternehmen. Wir stöhnen über Reibungsverluste an Schnittstellen, steigende Komplexität und Silos. Überlastung und Überforderung stehen an der Tagesordnung.
Inhalt
Organisationen in der Sackgasse
Die Ursachen dieser angewachsenen Bürokratie, unter der alle leiden, sind vielschichtig. Da sind gewachsene Strukturen. Mit linearer Prozessdenke und alteingesessenen Verhaltensweisen versuchen wir vergeblich die Digitalisierung von Geschäftsmodellen zu meistern. Da ist der aus Unsicherheit geborene Reflex, Entscheidungen durch immer neue Prüfaufträge, Benchmarks und Prognosen so lange absichern zu wollen, dass am Ende Paralyse durch Analyse steht.
Schon die Sprache, die in unseren Unternehmen an der Tagesordnung steht, ist entlarvend. Koalitionen werden geschmiedet, Loyalität eingefordert oder aufgekündigt, Seilschaften gebildet. Menschen sind im Organigramm „aufgehängt“, was nach Todesstrafe klingt. Abteilungen teilen ab, wie der Name sagt. Es ist die Rede von Angriff und Verteidigung, der Suche nach dem Schuldigen, wenn etwas daneben geht. Wir sichern Kontrolle und Macht über disziplinarische Führung.
Es schwingt Geringschätzung mit, wenn Menschen im Unternehmen in Sonntagsreden als „wichtigstes Asset“ oder als Ressource bezeichnet werden. Denn: Ressourcen werden verbraucht und Assets bilanziell abgeschrieben. Es ist eine Sprache der Abgrenzung, der Trennung und des Krieges, die den Unternehmensalltag prägt.
Die Erscheinungsformen des Alltagsirrsinns sind Anzeichen für die dringende und grundlegende Überholungsbedürftigkeit unserer Art der Zusammenarbeit und Organisation.
Die neue Zusammenarbeit
Es ist kein Zufall, dass sich Unternehmen aller Branchen zurzeit im Zustand der inneren Transformation befinden. Sie versuchen sich auf radikale Veränderungen ihrer Märkte einzustellen, probieren sich selbst organisierende Teams aus und bauen Hierarchieebenen ab. Selbst das Organigramm, seit über hundert Jahren Abbild unserer Organisationen, steht auf den Prüfstand und wird ersetzt durch dynamische Netzwerkdarstellungen.
Es formiert sich nachhaltiger Widerstand gegen alte Muster. Eine neue Sprache hält Einzug. Auf einmal ist die Rede von sich nach vorne irren, Fehler reflektieren und zutrauen. Eigenverantwortung übertragen statt kontrollieren lautet die Devise, die sich ausdrückt in Sätzen wie: „Ich übernehme die Aufgabe.“ „Welche Beitrag kann ich leisten?“ „Was braucht ihr im Team, um die Aufgabe zu erfüllen?“
Es geht um lebendige Zusammenarbeit im Team, das durch einen offenen Umgang und Selbstdisziplin des einzelnen zum Wohle des Ganzen geprägt ist. Gut ausgebildete Moderatoren sorgen dafür, dass Meetings klare Ziele haben, kürzer und effizienter sind, und Vielredner keine Chance auf Entfaltung haben. Wir lernen kluge Fragen statt vorschnelle, unausgegorene Antworten zu geben.
So taucht die Frage nach dem Sinn der Arbeit und des Unternehmens auf: „Warum gibt es uns?“. Um beste Leute einer neuen Generation zu gewinnen, muss die Antwort anders lauten als: „Um unseren Umsatz und unseren Profit zu steigern.“
Wie gelingt Transformation?
In bestehenden Unternehmen sind es noch nur Inseln, die so denken, sprechen und handeln. Den Erneuerern schlägt massiver Widerstand entgegen. Dahinter steckt Angst vor Verlust von Einfluss und Status. Verlust des Titels auf der Visitenkarte und der Insignien der Macht wie dem Dienstwagen, dem namentlich gekennzeichneten Parkplatz oder der Vorzimmerdame.
Es ist paradox: Wir pfeifen aus dem letzten Loch, aber etwas verändern wollen wir auch nicht.
Wie überwinden wir Widerstand gegen die Transformation? Zum Beispiel, indem wir…
- … das Warum der Veränderung gebetsmühlenartig wiederholen;
- … Verantwortung für die Veränderung an viele und besonders an deren Gegner übertragen;
- … alle Kollegen zu Mit-Autoren der Transformation machen und sie mit ihnen gemeinsam entwickeln;
- … Rollen von Befürwortern und Kritikern verteilen und argumentativ gegeneinander antreten lassen;
- … neue Mitarbeiter mit gestandenen in Reibung bringen;
- … so viele Aufgabenstellungen wie möglich nur noch in kross-kompetenten Teams bearbeiten und dadurch den Blick für andere Perspektiven öffnen;
- … offene Fragen der Veränderungsgegner aufnehmen, versachlichen und ständig Feedback geben;
- … statt Leute in Veränderungstrainings stecken, eine Lernkultur durch Incentivierung von Lernerfahrungen aus offen angesprochenen Fehlern etablieren;
- … Fehlentscheidungen bei den Schritten der Veränderung analysieren und offen zurücknehmen, dadurch Glaubwürdigkeit erzielen;
- … schnelle Erfolge sichtbar machen;
- … akzeptieren, dass Transformation Zeit braucht und unterschiedliche Geschwindigkeiten annimmt.
All das ist mühsam, aufwändig und zeitintensiv. Aber da hilft kein Heulen und Zähneknirschen: Die Zeit der Führungskraft an der Spitze, die alles weiß und der alle blind folgen, ist endgültig vorbei. An ihre Stelle tritt die Weisheit und die Verantwortung der Vielen, die beste Gewähr sind für den Aufbruch in eine Zukunft, die mehr denn je unklar ist.
Wir müssen akzeptieren, dass die Überwindung von Veränderungsblockaden zur vordringlichen Führungsaufgabe geworden ist. Und wir werden uns wundern: Wenn wir so vorgehen, werden mehr Kollegen mitmachen als wir anfangs geglaubt haben.
Der Autor
Markus Baumanns ist Unternehmer, Unternehmensberater, Bestsellerautor und gefragter Vortragsredner.
Er hat im Laufe seiner internationalen Karriere zwei erfolgreiche Unternehmen, zwei Eliteuniversitäten und zwei renommierte Stiftungen und Think Tanks konzipiert, gegründet und operativ verantwortet. 2010 gründete der Historiker gemeinsam mit Torsten Schumacher die company companions, die große mittelständische Unternehmen bei wichtigen Transformationsprozessen in den Themen Strategie, agile Organisation und Führung fordernd begleiten.
Mehr über Markus Baumanns: www.companycompanions.com.
Buchempfehlung zum Thema
Titel: „Kick-off! Auf Entdeckungsreise zur Organisation der Zukunft“* mit Illustrationen von Britta Tondock
Inhalt: Markus Baumanns beschreibt in seinem gerade erschienen neuen Buch den hürdenreichen und beglückenden Weg eines hierarchischen Unternehmens in die Zukunft der neuen Arbeitswelt – mit praktischen Beispielen und vielen Aha-Momenten.
Gebundene Ausgabe: 215 Seiten
Verlag: Murmann / Haufe; Auflage: 1. Auflage 2019 (12. April 2019)
ISBN-13: 978-3648129012
Preis: 19,95 EUR