Gastbeitrag von Anne M. Schüller
Mehr als jemals zuvor brauchen Unternehmen jetzt unkonventionelle Ideen und schnelle Entscheidungsprozesse in sich selbst organisierenden Teams. Skalen, konsultative Beratung und Konsent-Entscheidungen sind dabei sehr hilfreich.
Stellen Sie sich vor, bei einem Fußballspiel müsste vor jeder größeren Entscheidung, wenn also zum Beispiel ein Tor geschossen werden soll, zunächst eine Genehmigung „von oben“, also beim Trainer eingeholt werden. Wieviel Spaß hätten die Spieler dann noch an diesem Spiel? Und wieviel Spaß würde das Ganze den Zuschauern machen?
Die fachlichen Kompetenzen liegen heute vor allem bei den Spezialisten im Team. Wer die Tore schießt, sollte auch die dazu notwendigen Entscheidungen treffen. Doch Chefs alter Prägung sehen sich noch immer gern als Alleinentscheider. Das ist, als ob der Trainer die Elfmeter schießen müsste. So sind Fehlleistungen vorprogrammiert.
Inhalt
- Typischer Entscheidungsprozess in einem tradierten Unternehmen
- Typ 1 oder Typ 2? Strategische und operative Entscheidungsfelder
- Ihre Mitarbeiter können das nicht? Man muss üben, um zu brillieren
- Ãœbliche Entscheidungsmethoden: Mehrheitsentscheid und Konsens
- Der konsultative Einzelentscheid: Die „Weisheit der Vielen“ nutzen
- Der Konsent-Entscheid: Hat jemand ernste Bedenken?
- Die Elfer-Skala für eine zügige Entscheidungsfindung
- Bücher von Anne M. Schüller
Typischer Entscheidungsprozess in einem tradierten Unternehmen
Gute und zügige Entscheidungen sind für jedes Unternehmen lebensnotwendig. Doch viele Firmen sind davon weit entfernt. Anschaffungen brauchen dort die Unterschrift des nächsthöheren Vorgesetzten. Hierfür ist aufwendig ein Formular auszufüllen. Zudem dürfen nur gelistete Teile eingekauft werden, obwohl viel besser Geeignetes im Web grad sehr viel günstiger wäre – und mit einem Klick bestellbar.
Zu allem Übel ist der Chef zwei Wochen in Urlaub, danach türmt sich bei ihm die Arbeit. Als endlich grünes Licht kommt, ist der Kunde, für dessen Auftrag dieses Teil notwendig war, weg. Er konnte nicht länger warten. Neben den Kosten für die interne Prozessabwicklung beläuft sich der entgangene Umsatz auf 10.000 Euro.
Der ganz normale Wahnsinn in autokratischen Unternehmen: Erst wollen die Firmen die besten Mitarbeiter und dann werden diese geführt, als ob sie keine eigenen Entscheidungen treffen könnten. Zudem werden die Opportunitätskosten, die aus zentralistischen Entscheidungen erwachsen, überhaupt nicht gerechnet.
Typ 1 oder Typ 2? Strategische und operative Entscheidungsfelder
Natürlich sind nicht alle Entscheidungen zu dezentralisieren. Ich unterscheide deshalb zwischen Typ 1 und Typ 2.
- Typ-1-Entscheidungen: Das sind strategische Entscheidungen. Diese haben einen langfristigen Zeithorizont mit weitreichenden Konsequenzen, wie etwa Expansionsvorhaben oder neue Technologien. Dabei geht es um die großen Zusammenhänge im Marktgeschehen, um langfristige Perspektiven, um juristische Haftungsgründe, um Finanzimplikationen usw., die für die Unternehmenssteuerung maßgeblich sind. Solche Entscheidungen gehören in den obersten Führungskreis.
- Typ-2-Entscheidungen: Das sind Entscheidungen von operativer Bedeutung. Sie werden dort getroffen, wo sie hingehören: Dort, wo die Fachleute sitzen, dort, wo man ganz nah am Kunden ist, und dort, wo man beim kleinsten Hinweis auf Fehler zügig nachsteuern kann. „Kompetenzen und Verantwortung zusammenführen“ nennt man dieses Prinzip. Fast alle operativen Fragestellungen kann ein Team besser und schneller beantworten als ein Vorgesetzter weit weg vom Schuss.
Selbstorganisiertes Entscheiden bedeutet: Weder mischt sich die Führungskraft in den Entscheidungsprozess ein noch bittet sie das Team zum Rapport. Höchstens fragt sie bei Gelegenheit interessehalber, wie’s läuft. Dabei lässt man die Leute erzählen – und nicht berichten. Erzählen ist auf Augenhöhe, berichten hingegen hierarchisch.
Ihre Mitarbeiter können das nicht? Man muss üben, um zu brillieren
Natürlich wirft man niemanden ins kalte Wasser, der noch nicht schwimmen kann. Wählen Sie deshalb am Anfang Themen mit kleinem Risiko. Was ganz gewiss nicht passieren darf, das ahnen Sie schon: Sie fallen in die Chefrolle zurück und kippen eine Teamentscheidung „kraft Amtes“. Damit wäre alles verspielt!
Haben Sie sich auf den Weg zur selbstorganisierten Entscheidungssteuerung gemacht, müssen Sie Entscheidungen aushalten können, die Sie anders getroffen hätten und Vorgehensweisen zulassen, die Sie nicht kontrollieren können. Oft finden die Mitarbeiter, wenn man sie lässt, effektivere Wege zum Ziel. Allerhöchstens erbitten Sie ein Vetorecht für den Fall, dass strategische Überlegungen dagegensprechen.
Die Mitarbeiter wollen gar nicht selbst entscheiden? Dahinter steckt oft die Angst vor dem Fehlermachen. Schauen Sie also individuell, was die Leute in Sachen Entscheidung vertragen können und führen Sie sie sachte an mehr Verantwortung heran. Bevor Entscheidungsprozesse komplett in die Teams verlagert werden, muss man sich zunächst mit der internen Fehlerkultur und falschen Belohnungssystemen befassen.
Ãœbliche Entscheidungsmethoden: Mehrheitsentscheid und Konsens
Entscheidungen fallen in aller Regel auf dreierlei Weise: per Chefentscheid, per Mehrheitsentscheid oder per Konsens-Entscheid.
Beim Mehrheitsentscheid wird eine Entscheidung nach einem vorgegebenen Mehrheitsschlüssel getroffen. Bis zu 49 Prozent aller Stimmen werden dabei zum Verlierer. Viel Unzufriedenheit kann so entstehen – und die Tragfähigkeit einer Entscheidung wird leicht unterminiert.
Demgegenüber benötigt ein Konsens-Entscheid die ausdrückliche Zustimmung aller. Dem eilen oft lange Diskussionen voraus. Schließlich einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dies ist wohl der schlechteste aller Wege in neuen Zeiten. Wie man also zu schnelleren Entscheidungen kommt und zugleich deren Qualität steigert?
Der konsultative Einzelentscheid: Die „Weisheit der Vielen“ nutzen
Diese Methode bewährt sich immer dann, wenn eigenständig entschieden werden soll, insbesondere also auch in selbstorganisierten Kontexten. Ziel ist es, die Expertise Dritter in seine Entscheidung miteinzubeziehen. So kann zum Beispiel bestimmt werden, dass, bevor eine Entscheidung getroffen wird, immer mindestens zwei sachkundige (!) Personen befragt werden müssen – und nicht etwa bequeme Kollegen.
Auch ein fachfremder Blick auf ein Thema kann manchmal sehr hilfreich sein, um mehr Klarheit zu gewinnen und seine Gedankengänge zu präzisieren. Dafür kommen Personen innerhalb oder außerhalb der Firma infrage. Die Verantwortung, wie am Ende entschieden wird, verbleibt allerdings bei der entscheidenden Person oder Gruppe. So umgeht man langwierige Abstimmungsrunden, verbessert die Entscheidungsgrundlage, erhöht die Handlungssicherheit und beschleunigt die Umsetzungsgeschwindigkeit.
Der Konsent-Entscheid: Hat jemand ernste Bedenken?
Beim Konsent geht es um eine zügige Entscheidungsfindung in operativen Belangen. Zähe Diskussionen, Meeting-Marathons und/oder wachsweiche Gruppenbeschlüsse können damit vermieden werden. Der Konsent will kein Maximum an Zustimmung, sondern vielmehr klären, ob jemand gravierende Vorbehalte oder ernsthafte Bedenken gegenüber einem Vorschlag hat. Also nicht „Ja, ich stimme zu!“, sondern „Nein, ich habe keinen schwerwiegenden, begründeten Einwand.“ So stützt sich der Konsent auf Entscheide, die „gut genug für den Moment und sicher genug für einen Versuch“ sind.
Dazu unterbreitet man den Entscheidungsvorschlag, klärt etwaige Unklarheiten und fragt dann so: „Sieht jemand einen wichtigen Grund oder eine ernste Bedrohung, weshalb dieser Vorschlag Schaden anrichten könnte?“ Ein „ungutes Gefühl im Bauch“ reicht nicht. Es braucht triftige Hinweise auf womöglich gefährliche Konsequenzen.
Die Elfer-Skala für eine zügige Entscheidungsfindung
Auch dies ist eine Methode, die in einer Gruppe oder in einem Meeting für gemeinsam getragene zügige Entscheidungen sorgt. Dazu wird zunächst das Thema vorgestellt, zu dem eine Entscheidung ansteht. Hiernach ist Zeit für Verständnisfragen. Im Anschluss daran wird den Teilnehmern eine erste Bewertungsfrage gestellt:
„Auf dieser Skala von 0 bis 10: Wie wichtig und dringlich ist dieses Thema für uns?“
Jeder entscheidet verdeckt. Danach werden stellvertretend je zwei Meinungen aus dem niedrigen (0 bis 3) und dem hohen Bewertungsbereich (7 bis 10) gehört. Hiernach gibt es eine zweite verdeckte Bewertung mit der gleichen Frage auf einer neugezeichneten Skala. Liegen alle Bewertungen nun zwischen sieben und zehn, ist das Thema angenommen und damit eine Entscheidung gefallen. Liegen Bewertungen noch immer darunter, kann eine entsprechende Konsent-Frage helfen.
Weitere Entscheidungsmethoden
Damit Entscheidungen schneller & leichter von der Hand gehen, findet ihr im Unternehmerhandbuch diverse Entscheidungsmethoden, die bei der Wahl der richtigen Alternative helfen können:
Link zum BeitragDie Autorin
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events.
2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.
Bücher von Anne M. Schüller
Titel: Zukunft meistern: Das Trend- und Toolbook für Übermorgengestalter*
Inhalt: Sie wollen die Zukunft meistern? In diesem Buch steht, wie das geht. Der erste Schritt: Zukunftsverständnis entwickeln, Szenarien erstellen und mithilfe von Zukunftsbildern erkunden, wie die Welt in fünf, in zehn oder gar zwanzig Jahren aussehen könnte. Der zweite Schritt: Nicht irgendwann, sondern jetzt mit Mut und Tatkraft beginnen, den Wandel aktiv mitzugestalten. Was wir heute tun oder lassen, entscheidet darüber, wie es uns fortan ergeht. Wer mit wachsamem Optimismus an die Zukunft herantritt, dem zeigt das Buch eine Fülle neuer Geschäftsmodelle, die unsere Wirtschaft nach vorne bringen.
Die mehrfach preisgekrönte Autorin und Keynote-Impulsgeberin Anne M. Schüller richtet in diesem Werk den Blick weit nach vorn. Es ist ein Trend- und Toolbook zugleich. Für vielerlei Branchen enthüllt es die Zukunftstrends der nächsten Dekade. Zudem zeigt es detailliert, wo es weiterhin hakt und in welche Richtung wir loslaufen sollten, weil erstklassige Chancen dort auf uns warten. Die LeserInnen werden Dingen begegnen, die es heute noch gar nicht gibt, manchem, was gerade entsteht, und vielem, was wir dringend anpacken müssen. Es ist eine Entdeckungsreise zu PionierInnen, InnovatorInnen und ÜbermorgengestalterInnen. Sie sind die wichtigsten Menschen in einer Gesellschaft, die die Zukunft erreichen will.
Herausgeber: GABAL; 1. Edition (25. Januar 2024)
Gebundene Ausgabe: 232 Seiten
ISBN-13: 978-3967391817
Preis: 29,90 EUR
Titel: Das Touchpoint-Unternehmen: Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt*
Inhalt: Mitarbeiterführung vom Kopf auf die Füße gestellt Wir stecken mitten drin im größten Change-Prozess aller Zeiten. Die Macht ist zu den Mitarbeitern gewandert. Top-down ist passé. Inside-out auch. Unternehmensprozesse beginnen heute beim Kunden, führen über die Mitarbeiter hin zum Management. Outside-in-bottom-up heißt von nun an der Kurs. Die Unternehmen müssen den Sprung vom Pyramidensystem zur Netzwerk-Organisation im Eiltempo schaffen. Um am Markt überhaupt punkten zu können sind Innovationen zunächst im firmeninternen Zusammenspiel dringendst vonnöten. Mitarbeiterführung muss neu gelernt werden. Die digitale Transformation, neue Arbeitsmodelle und die zuströmenden Digital Natives lassen den Unternehmen keine andere Wahl. Nach ihrem mehrfach preisgekrönten Bestseller Touchpoints stellt Anne M. Schüller in diesem Buch Mittel und Wege vor, mit deren Hilfe sich die neue Arbeitswelt meistern lässt:
- Die sieben Schlüsselaufgaben, die jetzt zu bewältigen sind
- Führungskonzepte für die Mitarbeiter von heute und morgen
- Ein Schritt-für-Schritt-Instrumentarium, um die Interaktionspunkte zwischen Mitarbeiter, Führungskraft und Organisation zu perfektionieren
Pointiert, unterhaltsam und verständlich geschrieben hat dieses Buch alles, um Unternehmern und Führungskräften ein praxisorientierter Wegweiser in die Zukunft zu sein.
Herausgeber: GABAL
Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
ISBN-13: 978-3869365503
Preis: 29,90 EUR
Titel: Bahn frei für Übermorgengestalter!: 25 Quick Wins für Innovatoren und Zukunftsversteher*
Inhalt: Das Buch zeigt 25 rasch umsetzbare Initiativen und weit über 100 Aktionsbeispiele, um zu einem Überflieger der Wirtschaft zu werden. Kompakt und sehr unterhaltsam veranschaulicht es jedem, der helfen will, eine bessere Zukunft zu gestalten, die maßgeblichen Vorgehensweisen in drei Bereichen: Wie machen wir die Menschen stärker, das Zusammenarbeiten besser und die Innovationskraft im Unternehmen größer.
Herausgeber: GABAL
Taschenbuch: 216 Seiten
ISBN: 978-3967390933
Preis: 24,99 EUR
[…] Selbstorganisation braucht neue Entscheidungsmethoden […]