Gastbeitrag von Jan Metzger

Die Zeiten sind unsicher, die Veränderungen, die wir erleben sind schwindelerregend:

• Die Digitalisierungübernimmt immer mehr Lebens- und Arbeitsbereiche: Was machen daten-getriebene Prozesse und die neuen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz mit heutigen Arbeitsplätzen?
• Die Pandemiehat dabei als Veränderungs-Beschleuniger gewirkt: Home-Office statt Büro, Bildschirm-Chat statt Schwatz am Kaffee-Automaten, Video-Konferenzen statt Dienstreisen … die hybride Arbeitswelt, ist gekommen, um zu bleiben.
• Der Fachkräftemangel wird immer spürbarer – und das mit einer neuen Generation auf dem Arbeitsmarkt, die andere Vorstellungen von Arbeit hat und diese auch durchsetzen kann: Weniger arbeiten, sinnvoller arbeiten, in einer fairen Kultur mit mehr Freiheit und Gestaltungsspielraum arbeiten.
• Das Ganze vor einer Kulisse globaler Krisen und Veränderungen: Globale Machtverhältnisse verschieben sich mit Folgen für Lieferketten und Märkte. Mitten in Europa gibt es Krieg und die Anpassungen an die Folgen der Klimakrise werden immer wahrscheinlicher nicht ohne Disruption zu bewältigen sein.

Angesichts vielfältiger Herausforderungen und eines hohen Veränderungs-Tempos stellen sich heute viele Unternehmen die Frage: Wie bauen wir unsere Organisation so, dass wir mit diesen unsicheren Zeiten klarkommen?

Traditionelle Organisationen unter hohem Veränderungs-Druck

Mit den alten, trägen Mustern hierarchischer Organisationen – Abteilungs-Silos, lange vertikale Befehls- und Berichtsketten, Zielvorgaben und Ergebniskontrolle, Mikro-Management – wird sich diese neue Welt nicht bewältigen lassen. Die Lage verlangt Bewegungsbereitschaft, die Fähigkeit, sich rasch anzupassen – und vor allem Lust auf Innovation und Veränderung.

Zukunftsfähige Organisationen sind beweglich und entwickeln hohe Fähigkeiten im Umgang mit Ungewissheit und Veränderung. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die Arbeit von Organisationen in den letzten Jahrzehnten von vertikalen Befehls- und Berichtsketten zwischen Individuen immer stärker in Teams hinein verlagert hat. Zu komplex die Entscheidungen, zu hoch das Entscheidungstempo.

Entscheidungen müssen dort getroffen werden, wo das Wissen und wo die eigentliche Expertise sind: In der täglichen Praxis, beim Lösen von konkreten Aufgaben, im Kontakt mit Kunden, beim Designen von Prozessen und Routinen, beim Erfinden neuer Lösungen.

Gesucht: Starke, handlungsfähige Teams

Mit den heute herrschenden Ungewissheiten und Veränderungen souverän und produktiv umzugehen – das erfordert, dass

• Teams selbst Verantwortung tragen und fähig sind, Entscheidungen eigenständig zu treffen.
• Beschäftigte in großer Freiheit und selbstständig arbeiten können und dass sie damit verantwortungsvoll umgehen.
• Chefinnen und Chefs auf Vertrauen setzen, statt Mikro- Management zu betreiben und auf Kontrolle zu bestehen.
• es gute Informationsflüsse auf allen Ebenen und in alle Richtungen der Organisation gibt, damit sie bewegungsfähig und lernbereit ist.
• Zusammenhalt und Kommunikation gezielt und planvoll organisiert werden, um den Laden zusammenzuhalten und gemeinsam in der Spur zu bleiben.

Eine sich rasch verändernde Welt erfordert selbsttragende, selbstständig arbeitende Teams in beweglichen Strukturen – kurz: eine besondere Qualität der Zusammenarbeit.

Nur: Wie bekommt man solche Teams?

Was machen Hochleistungs-Teams richtig? Googles „Projekt Aristoteles“

Diese Frage hat sich auch Google gestellt – eine Firma, von der man gewiss sagen kann, dass sie schon immer in einem dynamischen Umfeld unterwegs war. Google hat deshalb vor ein paar Jahren das „Projekt Aristoteles“ ins Leben gerufen. Ziel dieser breit angelegten Untersuchung war es, herauszufinden, warum manche der Google-Teams messbar erfolgreicher waren als andere.

Google hat in dieser Untersuchung fünf „Schlüssel-Dynamiken“ starker und erfolgreicher Teams identifiziert:

1. „Verlässlichkeit“ – alle machen ihren Job gut.
2. „Struktur und Klarheit“ – sie zahlen auf die Leistung und auf die Ziele der Organisation ein, weil die einzelnen Rollen klar bestimmt und die Verantwortlichkeiten gut verteilt sind.
3. „Bedeutung“ – alle wissen, welchen Sinn ihre Arbeit hat und dass die eigene Mühe sich deshalb lohnt.
4. „Wirkung“ – der eigene Beitrag ist wirksam und macht einen Unterschied für die Gruppe und ihre Ergebnisse
5. „Psychologische Sicherheit“ – die Mitglieder eines Teams fühlen sich sicher genug, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen, z.B. einander zu vertrauen, Fragen zu stellen, sich gegenseitig zu kritisieren, Fehler zuzugeben oder den anderen mit halbgaren Ideen zu kommen. Sie können sich darauf verlassen, dass sie dafür nicht beschämt oder auf andere Weise bestraft werden.

Der Punkt, der bei Google alle überraschte: „Psychologische Sicherheit“, so Projektleiterin Julia Rozovsky, „war bei Weitem und mit Abstand die wichtigste der fünf Dynamiken, die wir gefunden haben – sie war die Grundlage der anderen vier.“

Will man also ein Team haben, das stark und erfolgreich agiert, dann sollte man in der Gruppe gute und produktive Verhaltensweisen etablieren, die genau diese Dynamiken entfalten. Google nennt sie „Gruppen-Normen“, die ungeschriebenen Gesetze eines Teams. Andere verwenden den Begriff „Team-Kultur“.

Hochleistung braucht Sicherheit

Warum psychologische Sicherheit diese herausragende Rolle für die Leistungsfähigkeit von Teams spielt, das haben Neurobiologie und Sozialwissenschaften in den letzten Jahren gut erforscht. (Vgl. dazu z.B. das Buch von Amy C. Edmondson, „Die angstfreie Organisation – Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen“, München 2020. Ein Überblick außerdem in Jan Metzger, „Exzellente Teams – Das Geheimnis von Hochleistung in 8 Schritten“, Weinheim 2023)

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Es gibt – eigentlich wenig überraschend – einen engen Zusammenhang zwischen unserer menschlichen Natur und dem Erfolg von Teams und Organisationen.

Es ist unser Hunger nach Sicherheit, Vertrauen, Orientierung und Sinn, die unser Verhalten bestimmen und damit auch das Geschehen in Teams. Deshalb kann man in Teams immer wieder die gleichen Verhaltens-Muster beobachten. Das Geschehen dort ist in hohem Maße vorhersehbar. Und weil das so ist, kann man auf die Prozesse in Teams – auf seine Gruppen-Normen und seine Arbeits-Kultur – planvoll Einfluss nehmen. Mit unmittelbarer Wirkung auf die Leistungsfähigkeit eines Teams: Wir Menschen waren schon immer dann erfolgreich, wenn wir auf der Basis von Sicherheit, gegenseitigem Vertrauen und klaren Normen miteinander kooperiert haben. Nur in einem sicheren Raum entstehen gute Leistungen, Begeisterung und Exzellenz. Erst dann, in einer sicheren Arbeitsumgebung geben Menschen ihr Bestes.

Wenn also Sicherheit im Team für seine Leistungsfähigkeit den entscheidenden Unterschied macht, dann stellt sich die Frage:

Wie etablieren wir in unseren Teams Gruppen-Normen für eine produktive und leistungsfähige Kultur, die unser Team stark und erfolgreich macht? Wie entwickeln wir ein Team, in dem die Einzelnen ihr Potenzial voll entfalten – und so am Ende auch das ganze Team über sich hinauswachsen kann?

Mit acht Skills zu sicheren und starken Teams

Bewährt haben sich acht „Magic Skills“ – Fähigkeiten und Fertigkeiten, die jedes Team besser machen:

1. Bindung: Erst durch Bindung wird aus einer Gruppe ein Team. Die Einzelnen stehen in Kontakt miteinander. Sie kooperieren in Beziehung zueinander. Bindung entsteht, wenn eine Gruppe ihre Kommunikation planvoll organisiert: Check-In und Check-Out, Reflektion der Zusammenarbeit, eine direkte, robuste und respektvolle Kommunikation, gute Feedback-Routinen, gegenseitige Wertschätzung, Umgang mit Konflikten ohne soziale Kollateralschäden, genügend gemeinsame ‚social time‘ – um nur einige Verhaltensweisen zu nennen, die in jedem Team Bindung zwischen den Einzelnen schaffen.
2. Rollen: Ein klares Verständnis von Rollen gibt jedem Team Struktur und Wirksamkeit. Wenn alle ihre Rolle kennen, verstehen und beherrschen, erledigt jedes Teammitglied verlässlich seine Arbeit in der vereinbarten Qualität und Zeit. Darüber hinaus gibt es Raum und Sicherheit für gegenseitige Hilfe und für Improvisation. Durch kontinuierliche Rollen-Verhandlungen entsteht für alle Beteiligten ein sicherer Raum.
3. Verantwortung: Die Verantwortlichkeiten im Team sind so verteilt, dass sie die gesamte Bandbreite der Aufgaben abdecken. Sie sind gut miteinander abgestimmt, so dass es keine opaken Zonen von überlappender Verantwortung gibt, die entweder umkämpft sind oder in denen sich niemand kümmert. Rollenverhandlungen justieren diese Zonen immer wieder neu.
4. Dialog: Dialoge auf Augenhöhe, die getragen werden vom Wunsch des gegenseitigen Verstehens, sorgen für Respekt in der Gruppe und für ein hohes Maß an Transparenz: Die Teammitglieder haben gelernt, miteinander im Gespräch zu sein – über ihre jeweiligen Aufgaben genauso wie über ihre Zusammenarbeit.
5. Verhandlung: Verhandlungen ermöglichen es Teammitgliedern, jederzeit miteinander ihre Rollen, ihre Verantwortlichkeiten, ihre Ziele, ihre Konflikte oder jedes beliebige andere Thema zu klären. Verhandeln schafft Sicherheit, weil alle die Chance haben, ihre Interessen und Bedürfnisse in der Gruppe zu artikulieren und mit den Anderen zu tragfähigen Vereinbarungen zu kommen.
6. Vereinbarungen: Die Teammitglieder sind es gewohnt, nachprüfbare und verlässliche Vereinbarungen miteinander zu treffen. Und sie sind es auch gewohnt, getroffene Vereinbarungen bei Bedarf immer wieder neu zu verhandeln. Vereinbarungen machen aus einem Team ein System, das reaktionsbereit und bewegungsfähig ist.
7. Konflikte: Wo es eine eingeübte und belastbare Kommunikation gibt, können Konflikte produktiv bearbeitet und genutzt werden. Dann sind sie keine Bedrohung für das Team, sondern eher ein Impuls, um über Veränderungen nachzudenken und gemeinsame Lernprozesse anzustoßen.
8. Vertrauen: Auf der Basis einer verlässlichen Arbeitsteilung und einer robusten Kommunikation erwächst Vertrauen – die wohl machtvollste Ressource, die ein Team haben kann: Wo Vertrauen herrscht, können alle in Freiheit agieren. Aus dieser Freiheit wachsen Freude an der Arbeit, bessere Leistungen und am Ende der Erfolg für die Einzelnen und für die Gruppe. Vertrauen ist der Zwilling von psychologischer Sicherheit und das wichtigste Geheimnis aller exzellenten Teams.

Diese Skills werden hier „magisch“ genannt, weil sie wie von Zauberhand funktionieren. Warum funktionieren sie so zuverlässig? Weil sie eine konsistente Antwort geben auf die unbewusste Frage, die in jedem Team allgegenwärtig ist: „Ist es hier sicher für mich?“.

Die acht „magischen“ Fähigkeiten knüpfen an tiefen menschlichen Bedürfnissen an und an Verhaltensweisen, die sich überall dort wiederholen, wo Menschen in Gruppen zusammenarbeiten. Die „Magic Skills“ nutzen unsere menschliche Natur, um unsere Zusammenarbeit besser, schöner und erfolgreicher zu machen. Hier können Team-Mitglieder sie selbst sein.

Team-Kultur macht in unsicheren Zeiten den Unterschied

Unternehmen, die wollen, dass ihre Teams mit Ungewissheit und unsicheren Zeiten klarkommen, dass sie selbstverantwortlich gute Entscheidungen treffen, dass sie auch unter hohem Veränderungsdruck leistungsfähig bleiben, sollten in ihre Team-Kultur investieren.

Für viele Organisationen sind das immer noch belächelte „soft skills“, die vielleicht bei gutem Wetter mal dran sind. Was für ein Missverständnis!

In Zeiten großer Instabilität und Veränderung nimmt die Bedeutung von geschützten Räumen für die Leistungsfähigkeit von Teams noch zu. Je offener die Zukunft, desto wichtiger werden vertrauensvolle Kooperation im Team, dass alle in dieselbe Richtung unterwegs sind, der erlebte Sinn der gemeinsamen Arbeit, desto wichtiger sind Orientierung und Stabilität. Gerade bei rauem Wetter, wenn die Sicht schlecht ist und der Weg unbekannt, kommt es auf die Fähigkeit von selbstbewussten, reaktionsbereiten und veränderungswilligen Teams an, die eigenverantwortlich und wirkungsvoll im Ungewissen navigieren können.

Sichere Teams sind in unsicheren Zeiten der Schlüssel zum Erfolg. Bauen Sie sichere Teams! Es lohnt sich, für alle.

Das Buch zum Thema

Exzellente Teams: Das Geheimnis von Hochleistung in 8 Schritten*

Exzellente Teams*

Jeder von uns kennt exzellente Teams: Wir gehen mit Vorfreude und Leichtigkeit zur Arbeit. Wir bringen Motivation und Ideen mit. Es gibt dort eine fröhliche, offene und robuste Kommunikation.

Gute Leistung entsteht so fast von allein. Das macht die Magie großartiger Teams aus. Aber wie baut man ein exzellentes Team auf? Exzellenz und Hochleistung sind kein Geheimnis – wenn Führungskräfte und Teams das dafür nötige Wissen und Können haben:

• Wissen: Wie verhalten sich Menschen in Organisationen? Neurobiologie und Sozialwissenschaften haben mittlerweile gut erforscht, welche Muster menschlichen Verhaltens in Teams und Organisationen immer wiederkehren. Zu verstehen, wie wir in der Gruppe ticken, ist die Grundlage für jede erfolgreiche Zusammenarbeit.
• Können: Weil sie an die wiederkehrenden Verhaltensweisen und Bedürfnisse von Menschen in Teams anknüpfen, funktionieren die „8 Magic Skills“, die dieses Buch empfiehlt, so zuverlässig. Mit ihrer Hilfe kann jedes Team Schritt für Schritt Sicherheit, Verlässlichkeit und Vertrauen aufbauen – und damit eine Kultur der Exzellenz.
• Meisterschaft: In Zeiten rascher und unberechenbarer Veränderungen sind selbsttragende und bewegliche Teams der Schlüssel zum Erfolg. Zur Meisterschaft gelangen herausragende Teams, indem sie sicher miteinander navigieren: Ihr Wegweiser sind der Sinn und die Bedeutung, die sie ihrer Arbeit geben.

„Exzellente Teams – Das Geheimnis von Hochleistung in 8 Schritten“ zeigt, wie ein Team heranwächst, das sich wie ein intelligenter Schwarm bewegt und Leistungen erbringt, die alle Beteiligten glücklich machen.

Herausgeber: Wiley-VCH
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
ISBN-13: 978-3527511440
Preis: 24,99 EUR

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